Open Industry 4.0
07.04.2023

Die Open Industry 4.0 Alliance wird erwachsen

 

Seit ihrer Gründung vor drei Jahren ist die Open Industry 4.0 Alliance auf über 100 Mitglieder gewachsen. Ihrem Prinzip der „Praktiker-Allianz“ ist sie treu geblieben. Nach einer organisatorischen Neuausrichtung im vergangenen Herbst sprechen Dr. Christian Liedtke, der neu gewählte Vorstandsvorsitzende der Allianz, und Ekrem Yigitdoel, Managing Director der Allianz, über die aktuellen Themen der Allianz.

Ekrem Yigitdöl, Managing Director der Allianz (links); Dr. Christian Liedtke, Chairman of the OI4 Board, KUKA (rechts)

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Es gibt zahlreiche Verbände, die sich auch um das Thema Industrie 4.0 kümmern. Was unterscheidet die Allianz von diesen?

CL: Ein wesentlicher Unterschied ist, dass wir viele Branchen und viele Disziplinen abdecken können. Ich nehme mal das Thema Schweißroboter. Der Hersteller gibt zwar Temperaturbereiche an, in denen die Anlage optimal betrieben wird, aber der Nutzer möchte dies mit der aktuellen Temperatur in seiner Werkshalle verknüpft wissen. Das erfordert die Zusammenarbeit mit Partnern, etwa im Gebäudemanagement, die der Hersteller von Schweißrobotern bisher nicht kennt. Innerhalb der Open Industry 4.0 Alliance kann er diese Partner finden – oder passende Best-Practice-Beispiele. Und dies ist vielleicht der entscheidende Punkt: Wir sind die Implementierer, wir setzen Dinge auf der Basis bestehender Standards wirklich in die Praxis um.

EY: Wir sehen uns als Community der Praktiker. Wir bieten dazu auch eine Definition an – wir sind ein Ökosystem marktführender Unternehmen, das sich für die Schaffung kompatibler Lösungen und Dienste einsetzt.

 

Die Allianz arbeitet aktiv mit anderen Gremien und Verbänden zusammen. Wie sieht dies derzeit in der Realität aus?

CL: Wir sehen eine enge Zusammenarbeit mit den Fach- und Branchenorganisationen als elementar und wichtig an, da ist zuvorderst der VDMA zu nennen. Wir stehen aktuell mit dem ZVEI, einem weiteren großen Branchenverband, in engem Austausch. Aber auch mit spezielleren Gremien, wie der Industrial Digital Twin Association IDTA, besteht eine Absichtserklärung; hier nutzen wir beispielsweise deren Arbeit zur Standardisierung von sogenannten Submodellen der Asset Administration Shell. Gemeinsame Messeauftritte gehören ebenfalls dazu. Die Zusammenarbeit mit Gremien, Verbänden und anderen Allianzen ist Teil unserer Strategie. Das spielt dann auch bei unserer Internationalisierung eine wichtige Rolle.

 

Warum sollte ich als Unternehmen Mitglied bei der Allianz werden?

EY: Weil das Unternehmen von der anfänglichen Idee für ein Projekt bis zur konkreten Umsetzung die gesamte Validierungsstrecke vorwettbewerblich mit Experten aus anderen Unternehmen angehen kann.

 

Konkrete Ergebnisse für Projekte sind sicherlich verlockend. Dennoch: Mit welchem Aufwand müssen Unternehmen bei der Umsetzung rechnen?

CL: Der Aufwand ist sicherlich nicht so hoch, wenn er auf verschiedene Schultern verteilt wird. Wenn sich etwa der Techniker in der Arbeitsgruppe für Cybersecurity einbringt und das Management jemand für die Vorstandssitzungen abstellt. Aber ohne die persönliche Motivation der einzelnen Person macht das Engagement sicher weniger Sinn.

EY: Außerdem wollen viele Interessenten ja ein konkretes Projekt umsetzen, und da sind sie in unserer Umsetzungsallianz an der richtigen Adresse. Die Allianz bietet vor allem für mittelständische Mitglieder eine sehr umfangreiche ‚Zutatenliste‘ an, um ohne großen Aufwand auf konkretes Wissen über Branchen, Technologie und Standards zuzugreifen. Denn eines ist klar – nur mit vorhandenem Praxiswissen, einem passenden Werkzeugkasten und im Verbund lassen sich Industrie-4.0-Projekte dann auch tatsächlich realisieren. Ein weiterer Vorteil: Die Endkunden unserer Mitglieder binden wir gerne als Sparringspartner mit ein, auch als Nicht-Mitglieder.

 

Wie kann die Allianz ihren Mitgliedern bei den aktuellen Herausforderungen helfen, zum Beispiel bei den Themen Lieferkettenresilienz oder Nachhaltigkeit?

CL: Wir sprechen über Industrie 4.0 als Digitalisierungsinitiative seit etwa 12 Jahren, allerdings bisher kaum ohne Druck von außen. Jetzt aber werden viele Anforderungen an die Unternehmen herangetragen. Etwa aus der Politik, wenn die EU beispielsweise einen digitalen Produkt-Pass ins Spiel bringt oder mit dem European Data Act gemeinsame Datenräume nutzbar machen möchte. Auch fordern größere Unternehmen zunehmend von ihren Lieferanten Angaben zum CO2-Fußabdruck. Die Umsetzung dieser Anforderungen erfordert allerdings mehr als die Digitalisierung per Excelliste und USB-Stick. Jetzt aber sind wir als wirkliche Vordenker gefragt und stehen hierbei Unternehmen, Verbänden und der Politik mit unserer Expertise beratend zur Seite.

EY: Und bevor wir allerdings über Themen wie unternehmensübergreifendem Daten- und Informationsaustausch reden, Stichwort Data Spaces, müssen wir grundlegendere Dinge lösen. So ist zum Beispiel immer noch das größte Problem in der Fabrikhalle die Konnektivität und strukturierte Bereitstellung von Daten. Jeder redet über Resilienz und Datenräume. Aber ohne Connectivity in der Fabrik macht dies keinen Sinn. Mit Cases zur Connectivity haben wir vor drei Jahren in der Allianz begonnen. Wir liefern konkrete Buildingblocks, die mittels Sensoren und Aktoren bei den Maschinen die Daten sammeln. Diese werden über sichere Verbindungen dann in die Clouds geliefert. Dies haben wir schon mehrfach angewandt und können hier unser Wissen und unsere Cases innerhalb der Allianz oder extern teilen.

 

Aus der Politik kommt derzeit auch eine Reihe von industriepolitischen Initiativen. Nach Gaia-X und Catena-X für die Automobilindustrie soll nun auch Manufacturing-X den großen Rahmen für die Industrie in Deutschland bilden. Wie ist die Position von der Allianz hierzu?

CL: Wir bringen uns hier bereits intensiv ein. Anfang des Jahres haben wir zum Beispiel an einem großen Workshop des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz BMWK teilgenommen. Dort haben wir etwa an Ausschreibungskriterien für Manufacturing-X mitgearbeitet oder über passende Transferstrategien für den Mittelstand diskutiert.

EY: Das BMWK will ja auch bestehende Strukturen und Standards mit einbinden und ist deshalb auch explizit auf uns als Praktiker-Allianz zugegangen. Der Wunsch kommt aus der Politik, dass wir uns hier als neutrale Instanz und mit unserer branchenübergreifenden Industrieexpertise einbringen. Zudem können wir bestehende Communities und Konsortien miteinander verbinden, egal ob in Deutschland oder zunehmend international.

 

Gutes Stichwort: Die Allianz hat speziell in Deutschland in den vergangenen drei Jahren einen großen Mitgliederzuwachs an international operierenden Unternehmen erzielt. Wie geht es nun weiter?

CL: Wir wollen in weiteren europäischen Ländern Fuß fassen. Im vergangenen Jahr haben wir mit den Niederlanden begonnen. Wir haben da eine standardisierte Vorgehensweise, die wir mit einem Beratungsunternehmen zusammen ausgearbeitet haben. Im Rahmen dieser Strategie suchen wir die Zusammenarbeit mit den nationalen Fach- und Branchenorganisationen. In den Niederlanden ist das Pendant zum VDMA die FHI, Federatie van Technologiebranches, die seit 1956 besteht. Hinzu kommt die TNO, die seit 1930 eingerichtete, staatliche Gesellschaft für Angewandte Naturwissenschaftliche Forschung, quasi ein Pendant zu Fraunhofer. Die TNO ist jetzt auch Mitglied der Allianz. Die Internationalisierungsstrategie der Allianz geschieht durch „Local Hubs“, die in den einzelnen Ländern eine lokale Ausprägung der horizontalen und vertikalen Arbeitsorganisation der Allianz bilden.

EY: Wir suchen bewusst Partner, die die Strukturen vor Ort kennen oder etwa die Forschung betreiben, und die den Zugang zu Fördermitteln haben. Wir sprechen mit diesen Organisationen über Showcases und nehmen an Messen teil. So loten wir etwa im Laufe des Jahres auch in Italien als Teilnehmer an der SPS Italia im Mai und in Dänemark im Rahmen der Automatik Expo im September die Möglichkeiten der Allianz aus. Nicht zuletzt regen Allianzmitglieder das Engagement in bestimmten Regionen an, weil sie zum Beispiel stark in der Automatisierungsindustrie Italiens vertreten sind oder, um mit Finnland ein weiteres Land zu nennen, weil sie dort Niederlassungen sowie starke Partner haben. Inzwischen werden wir auch schon von Unternehmen aus anderen Ländern aktiv angesprochen wie zum Beispiel aus Belgien. Unser Fokus liegt vorläufig auf Europa, obwohl wir bereits jetzt auch Mitglieder aus Asien und in Amerika haben.

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